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Thesen:
- Mit dem Lernfeldkonzept verbindet
sich eine Abkehr von fachwissenschaftlicher Systematik als
zentralem curricularen Bezugspunkt und eine Neuorientierung
auf berufliche Situationen, Probleme und Handlungszusammenhänge.
- Dieser Paradigmenwechsel wird auf
allen Ebenen curricularer Arbeit wirksam
· auf der Zielebene zeigt er sich als Abkehr von
der Stofforientierung und als Hinwendung zu einem kompetenzorientierten
Ansatz (Handlungskompetenz als Ziel)
· die Auswahl der Lerninhalte soll sich nicht länger
an fachwissenschaftlicher Systematik und Vollständigkeit
orientieren, sondern an der Relevanz der Lerninhalte für
den Erwerb von Handlungs- und Orientierungsfähigkeit.
· die Strukturierung der Lerninhalte soll nicht länger
fachsystematischen Kriterien folgen, sondern die Komplexität
und die Sinnstruktur relevanter Lebenssituationen abbilden,
· Auch die Sequenzierung der Lernhandlungen soll
nicht primär fachlogischen Aufbaugesichtspunkten und
elementenhaft-synthetischen Lehrstrategien folgen, sondern
eine sinnvoll-verstehende Erschließung komplexer Systeme
und Prozesse unter Berücksichtigung entwicklungspädagogischer
Gesichtspunkte ermöglichen.
- Einen entscheidenden Schritt über
die eingeführten Ansätze handlungsorientierten
Lernens in komplexen Lehr-Lern-Situationen hinaus geht das
Lernfeldkonzept dadurch, dass es Arbeits- und Geschäftsprozesse
in doppelter Weise in die curriculare Entwicklungsarbeit
einbezieht. Einerseits sollen Lernsituationen Arbeits- und
Geschäftsprozesse real und/oder gedanklich abbilden
und damit zum Ausgangs- und Bezugspunkt von Lernprozessen
machen. Dies ist ein Lernen durch Arbeits- und Geschäftsprozesse.
Andererseits stehen Arbeits- und Geschäftsprozesse
im Zentrum jener „beruflichen Handlungsfelder“,
auf die hin Lernfelder zu konzipieren und Kompetenzen zu
definieren sind. Die wäre ein Lernen für Arbeits-
und Geschäftsprozesse.
- Wenn so Arbeits- und Geschäftsprozesse
ins Zentrum des Berufsschulunterrichts rücken, so ist
aus pädagogischer Sicht danach zu fragen, auf welche
Handlungsmöglichkeiten des Subjekts hin der Berufsschulunterricht
ausgerichtet werden muss, um dem Bildungsauftrag gerecht
zu werden. Geht es um die Bewältigung vorgegebener
betrieblicher Anforderungen in engen funktionalen Zusammenhängen,
oder muss es nicht zumindest auch um die Möglichkeit
zur kompetenten und verantwortlichen Gestaltung beruflicher
Situationen auf der Grundlage eines theoretisch fundierten
Verständnisses dieser Prozesse und der komplexen Zusammenhänge,
in die sie eingebettet sind, gehen.
- Diese rhetorische Frage verweist darauf,
dass es keine linearen Ableitungszusammenhang von Handlungsfeldern
auf Lernfelder gibt. Lernfelder können nicht einfach
aus der Analyse von Handlungsfeldern „abgeleitet“
werden, weil aus einem Ist(-zustand) kein Soll(-zustand)
abgeleitet oder auch nur begründet werden kann (naturalistischer
Fehlschluss). Es bedarf immer einer pädagogischen Entscheidung
der oben beschriebenen Art, es bedarf immer einer didaktischen
Analyse, welche Möglichkeiten Schule ihren Schülern
eröffnen, für welche Handlungen, welche Leistungen
sie qualifizieren will, auf welche Werte sie Schüler
verpflichten und in welcher Weise sie zugleich deren Autonomieanspruch
gerecht werden kann.
- Vor diesem Hintergrund wäre dann
auch zu fragen, ob und inwieweit mit einer Orientierung
des Unterrichts an Arbeits- und Geschäftsprozessen
berufliche Tüchtigkeit und berufliche Mündigkeit
im Bereich kaufmännisch verwaltender Berufe gefördert
oder behindert wird. Berufliche Tüchtigkeit in dem
Sinne, berufliche Anforderungen in zunehmend komplexeren,
wissensbasierten Arbeitszusammenhängen kompetent und
verantwortlich bewältigen zu können. Berufliche
Mündigkeit in dem Sinne, dass zugleich die Fähigkeit
und Bereitschaft gefördert wird, berufliche wie private
und gesellschaftliche Lebenssituationen aktiv zu gestalten
und dabei auch die eigene Persönlichkeit weiter zu
entwickeln.
- Die Gleichsetzung von Arbeits- und
Geschäftsprozessen, wie sie im Kontext der Lernfelddiskussion
üblich ist, ist in hohem Masse problematisch. Beide
Konstrukte entstammen völlig unterschiedlichen Argumentationskontexten
und Interessen. Im Begriff des Arbeitsprozesses wird auf
Handlungszusammenhänge von Arbeit abgehoben, die in
der Regel im gewerblichen oder handwerklichen Bereichen
angesiedelt ist. Die Betonung des Prozesscharakters geht
einher mit der Orientierung an ganzheitlichen Handlungszusammenhängen
und einer Ablehnung tayloristischer Prinzipien der Arbeitszerlegung.
Im Mittelpunkt steht dabei in der Regel die Herstellung
eines konkreten Produktes in einem Prozess, der die Phasen
der Planung, Ausführung und Kontrolle umfasst. Das
besondere Interesse gilt dem im Prozess der Arbeit sich
ausdrückenden Arbeitsprozesswissen der Facharbeiter,
das ein spezifisches Handlungswissen entwickelter Facharbeit
ist. Dieses Wissen ist in dem Sinne komplex, als es situiert
ist und alle Aspekte mit umfasst, die für diesen komplexen
Prozess handlungsrelevant sind. Dies kann Sachwissen wie
Verfahrenswissen, explizites wie implizites Wissen sein.
Es unterscheidet sich jedoch im Ganzen deutlich vom naturwissenschaftlichen
Grundlagenwissen und vom Wissen des Ingenieurs oder Technikers.
Begreift man letzteres jedoch auch wiederum als Arbeitsprozesswissen
im Hinblick auf andere Funktionsbereiche und Arbeitsaufgaben,
so ist kritisch zu fragen, ob mit dem Konzept des Arbeitsprozesswissens
nicht zugleich ein hierarchisches Modell vertikaler Arbeitsteilung
aufgegriffen und festgeschrieben wird, dass die Facharbeiter
vom technologischen Verständnishorizont ihrer Arbeit
und damit auch von spezifischen Möglichkeiten der Gestaltung
von Arbeit abschneidet.
- Für den kaufmännischen Bereich
jedenfalls greift ein solches Verständnis von Arbeitsprozessen
auf der Ebene kaufmännischer Sachbearbeiter deutlich
zu kurz. Im Begriff des Geschäftsprozesses ist denn
auch in jedem Fall eine Sicht auf das gesamte Unternehmen
thematisiert, die die Gleichsetzung Arbeitsprozesse = Geschäftsprozesse
verbietet. Auch der Begriff der Geschäftsprozessorientierung
wird wiederum nicht einheitlich verwendet.
Ø im Sinne des Wirtschaftsinformatikansatzes von
Scheer werden Geschäftsprozesse als ereignisgesteuerte
Vorgangsketten interpretiert, bei denen im Unterschied zum
Fertigungsprozess keine Materialtransformationen stattfinden,
sondern Datentransformationen. Betriebliche Abläufe
werden hier zwar nicht mehr abteilungs- und funktionsspezifisch
zerteilt, sondern als ganzheitliche Leistungsprozesse erfasst.
Die Betrachtung bleibt jedoch auf die Sequenz der Vorgangsbearbeitung
unter einem formalen Aspekt beschränkt; zentrale Inhalte
betriebswirtschaftlicher Entscheidungen und damit die unternehmensstrategische
und –politische Ebene werden eben so wenig thematisiert,
wie grundlegende Systemeigenschaften der Unternehmung im
Hinblick auf soziale, ökologische aber auch ökonomische
Aspekte.
Ø Dem steht eine umfassendere Interpretation im Sinne
eines Business-Reenengeneering-Konzepts entgegen, wobei
die unterschiedlichen Geschäftsprozesse als komplexe
betriebliche Gestaltungsfelder thematisiert werden und damit
den Gesamthorizont betriebswirtschaftlicher Fragestellungen
auffächern.
- Je stärker sich ein Verständnis
der Prozessorientierung an die unmittelbaren Handlungserfahrungen
und das aktuelle Prozesswissen der Praktiker anbindet, desto
enger und unangemessener wird die Perspektive im Hinblick
auf den betriebswirtschaftlichen Sinnhorizont kaufmännischen
Handelns. Je stärker umgekehrt Handlungs- und Gestaltungsprobleme
auf der Ebene des betrieblichen Gesamtsystems aus einer
unternehmensstrategischen- bzw. –politischen Ebene
einbezogen werden, desto stärker setzt dieses wiederum
den Bezug auf fachwissenschaftliche Modelle und Erkenntnisse
voraus. Betriebswirtschaftslehre versteht sich überwiegend
praktisch-normativ, d. h. als Handlungswissenschaft. Vor
diesem Hintergrund könnte es weniger um die Frage Berufspraxis
oder Wissenschaft als Referenzsystem gehen, als vielmehr
um die Frage, mit Hilfe welcher Theorien berufliche Praxis
in ihren konkreten Aufgaben und ihrem Sinn- und Problemhorizont
am angemessensten zu erfassen ist.
- Die Frage nach der Definition von
Geschäftsprozessen als Strukturierungselemente von
Handlungs- und damit auch Lernfeldern ist im curricularen
Kontext nicht empirisch zu lösen (man findet keine
GP vor). Sie stellt vielmehr eine Modellierungsentscheidung
im Spannungsfeld betriebswirtschaftlicher und curricularer
Überlegungen dar.
- In intentionaler Hinsicht sollte die
pragmatische Qualifizierung für bestimmte Prozesse
(prozessbezogene Kompetenzen) ergänzt werden durch
verständnisorientiert-kognitive Ziele, die auf Systemverständnis
und den Erwerb zentraler Erkenntniskategorien (Schemata
in Form von Modellen und begrifflichen Konstrukten) hinauslaufen.
In diesem Sinne sollten sowohl Handlungs- als auch Orientierungskompetenz
gefördert werden und beide sind ohne die Einbeziehung
theoretischer Theorien, Modelle und Konstrukte nicht vorstellbar.
- Die besondere Herausforderung eines
geschäftsprozessorientierten Curriculums besteht darin,
nicht einzelne, voneinander separierte Prozesse zu thematisieren,
sondern die Geschäftsprozesse aus dem Zusammenhang
eines grundlegenden Systemverständnisses heraus zu
entwickeln und sie zugleich immer wieder auf den systemischen
Gesamtzusammenhang rückzubeziehen. Hierbei kommt dem
Rechnungswesen und dem Controlling eine zentrale integrative
Rolle zu.
- Die zunehmende
Verbreitung von ERP-Software erfordert von künftigen
Mitarbeitern ein entfaltetes Verständnis der Zusammenhangstrukturen
einer Unternehmung im Hinblick auf die dort realisierten
Prozesse und die verbindenden systemischen Strukturen. Die
Fähigkeit zum Umgang mit ERP-Software erweist sich
weniger im Handling dieser Programme, als in der (kognitiven)
Fähigkeit, die jeweils begrenzten Einblicke in diese
Systeme in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang stellen zu
können. Vor diesem Hintergrund geht es curricular nicht
primär um die Bearbeitung einzelner Module, sondern
um die Chance zum didaktisch strukturierten Umgang mit symbolisch
vermittelter betrieblicher Komplexität im Rahmen von
Schule. Hieran werden sich Softwareprodukte und didaktische
Konzepte zur Integration von ERP-Software zu messen haben.
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