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1. CULIK-FACHTAGUNG
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Lernfelder gestalten - miteinander Lernen - Innovationen vernetzen
12./13. Juni 2003
 

Workshop 3

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Geschäftsprozesse und fachliche Systematik

TADE TRAMM:


13 Thesen:

  1. Mit dem Lernfeldkonzept verbindet sich eine Abkehr von fachwissenschaftlicher Systematik als zentralem curricularen Bezugspunkt und eine Neuorientierung auf berufliche Situationen, Probleme und Handlungszusammenhänge.
  2. Dieser Paradigmenwechsel wird auf allen Ebenen curricularer Arbeit wirksam
    · auf der Zielebene zeigt er sich als Abkehr von der Stofforientierung und als Hinwendung zu einem kompetenzorientierten Ansatz (Handlungskompetenz als Ziel)
    · die Auswahl der Lerninhalte soll sich nicht länger an fachwissenschaftlicher Systematik und Vollständigkeit orientieren, sondern an der Relevanz der Lerninhalte für den Erwerb von Handlungs- und Orientierungsfähigkeit.
    · die Strukturierung der Lerninhalte soll nicht länger fachsystematischen Kriterien folgen, sondern die Komplexität und die Sinnstruktur relevanter Lebenssituationen abbilden,
    · Auch die Sequenzierung der Lernhandlungen soll nicht primär fachlogischen Aufbaugesichtspunkten und elementenhaft-synthetischen Lehrstrategien folgen, sondern eine sinnvoll-verstehende Erschließung komplexer Systeme und Prozesse unter Berücksichtigung entwicklungspädagogischer Gesichtspunkte ermöglichen.
  3. Einen entscheidenden Schritt über die eingeführten Ansätze handlungsorientierten Lernens in komplexen Lehr-Lern-Situationen hinaus geht das Lernfeldkonzept dadurch, dass es Arbeits- und Geschäftsprozesse in doppelter Weise in die curriculare Entwicklungsarbeit einbezieht. Einerseits sollen Lernsituationen Arbeits- und Geschäftsprozesse real und/oder gedanklich abbilden und damit zum Ausgangs- und Bezugspunkt von Lernprozessen machen. Dies ist ein Lernen durch Arbeits- und Geschäftsprozesse. Andererseits stehen Arbeits- und Geschäftsprozesse im Zentrum jener „beruflichen Handlungsfelder“, auf die hin Lernfelder zu konzipieren und Kompetenzen zu definieren sind. Die wäre ein Lernen für Arbeits- und Geschäftsprozesse.
  4. Wenn so Arbeits- und Geschäftsprozesse ins Zentrum des Berufsschulunterrichts rücken, so ist aus pädagogischer Sicht danach zu fragen, auf welche Handlungsmöglichkeiten des Subjekts hin der Berufsschulunterricht ausgerichtet werden muss, um dem Bildungsauftrag gerecht zu werden. Geht es um die Bewältigung vorgegebener betrieblicher Anforderungen in engen funktionalen Zusammenhängen, oder muss es nicht zumindest auch um die Möglichkeit zur kompetenten und verantwortlichen Gestaltung beruflicher Situationen auf der Grundlage eines theoretisch fundierten Verständnisses dieser Prozesse und der komplexen Zusammenhänge, in die sie eingebettet sind, gehen.
  5. Diese rhetorische Frage verweist darauf, dass es keine linearen Ableitungszusammenhang von Handlungsfeldern auf Lernfelder gibt. Lernfelder können nicht einfach aus der Analyse von Handlungsfeldern „abgeleitet“ werden, weil aus einem Ist(-zustand) kein Soll(-zustand) abgeleitet oder auch nur begründet werden kann (naturalistischer Fehlschluss). Es bedarf immer einer pädagogischen Entscheidung der oben beschriebenen Art, es bedarf immer einer didaktischen Analyse, welche Möglichkeiten Schule ihren Schülern eröffnen, für welche Handlungen, welche Leistungen sie qualifizieren will, auf welche Werte sie Schüler verpflichten und in welcher Weise sie zugleich deren Autonomieanspruch gerecht werden kann.
  6. Vor diesem Hintergrund wäre dann auch zu fragen, ob und inwieweit mit einer Orientierung des Unterrichts an Arbeits- und Geschäftsprozessen berufliche Tüchtigkeit und berufliche Mündigkeit im Bereich kaufmännisch verwaltender Berufe gefördert oder behindert wird. Berufliche Tüchtigkeit in dem Sinne, berufliche Anforderungen in zunehmend komplexeren, wissensbasierten Arbeitszusammenhängen kompetent und verantwortlich bewältigen zu können. Berufliche Mündigkeit in dem Sinne, dass zugleich die Fähigkeit und Bereitschaft gefördert wird, berufliche wie private und gesellschaftliche Lebenssituationen aktiv zu gestalten und dabei auch die eigene Persönlichkeit weiter zu entwickeln.
  7. Die Gleichsetzung von Arbeits- und Geschäftsprozessen, wie sie im Kontext der Lernfelddiskussion üblich ist, ist in hohem Masse problematisch. Beide Konstrukte entstammen völlig unterschiedlichen Argumentationskontexten und Interessen. Im Begriff des Arbeitsprozesses wird auf Handlungszusammenhänge von Arbeit abgehoben, die in der Regel im gewerblichen oder handwerklichen Bereichen angesiedelt ist. Die Betonung des Prozesscharakters geht einher mit der Orientierung an ganzheitlichen Handlungszusammenhängen und einer Ablehnung tayloristischer Prinzipien der Arbeitszerlegung. Im Mittelpunkt steht dabei in der Regel die Herstellung eines konkreten Produktes in einem Prozess, der die Phasen der Planung, Ausführung und Kontrolle umfasst. Das besondere Interesse gilt dem im Prozess der Arbeit sich ausdrückenden Arbeitsprozesswissen der Facharbeiter, das ein spezifisches Handlungswissen entwickelter Facharbeit ist. Dieses Wissen ist in dem Sinne komplex, als es situiert ist und alle Aspekte mit umfasst, die für diesen komplexen Prozess handlungsrelevant sind. Dies kann Sachwissen wie Verfahrenswissen, explizites wie implizites Wissen sein. Es unterscheidet sich jedoch im Ganzen deutlich vom naturwissenschaftlichen Grundlagenwissen und vom Wissen des Ingenieurs oder Technikers. Begreift man letzteres jedoch auch wiederum als Arbeitsprozesswissen im Hinblick auf andere Funktionsbereiche und Arbeitsaufgaben, so ist kritisch zu fragen, ob mit dem Konzept des Arbeitsprozesswissens nicht zugleich ein hierarchisches Modell vertikaler Arbeitsteilung aufgegriffen und festgeschrieben wird, dass die Facharbeiter vom technologischen Verständnishorizont ihrer Arbeit und damit auch von spezifischen Möglichkeiten der Gestaltung von Arbeit abschneidet.
  8. Für den kaufmännischen Bereich jedenfalls greift ein solches Verständnis von Arbeitsprozessen auf der Ebene kaufmännischer Sachbearbeiter deutlich zu kurz. Im Begriff des Geschäftsprozesses ist denn auch in jedem Fall eine Sicht auf das gesamte Unternehmen thematisiert, die die Gleichsetzung Arbeitsprozesse = Geschäftsprozesse verbietet. Auch der Begriff der Geschäftsprozessorientierung wird wiederum nicht einheitlich verwendet.
    Ø im Sinne des Wirtschaftsinformatikansatzes von Scheer werden Geschäftsprozesse als ereignisgesteuerte Vorgangsketten interpretiert, bei denen im Unterschied zum Fertigungsprozess keine Materialtransformationen stattfinden, sondern Datentransformationen. Betriebliche Abläufe werden hier zwar nicht mehr abteilungs- und funktionsspezifisch zerteilt, sondern als ganzheitliche Leistungsprozesse erfasst. Die Betrachtung bleibt jedoch auf die Sequenz der Vorgangsbearbeitung unter einem formalen Aspekt beschränkt; zentrale Inhalte betriebswirtschaftlicher Entscheidungen und damit die unternehmensstrategische und –politische Ebene werden eben so wenig thematisiert, wie grundlegende Systemeigenschaften der Unternehmung im Hinblick auf soziale, ökologische aber auch ökonomische Aspekte.
    Ø Dem steht eine umfassendere Interpretation im Sinne eines Business-Reenengeneering-Konzepts entgegen, wobei die unterschiedlichen Geschäftsprozesse als komplexe betriebliche Gestaltungsfelder thematisiert werden und damit den Gesamthorizont betriebswirtschaftlicher Fragestellungen auffächern.
  9. Je stärker sich ein Verständnis der Prozessorientierung an die unmittelbaren Handlungserfahrungen und das aktuelle Prozesswissen der Praktiker anbindet, desto enger und unangemessener wird die Perspektive im Hinblick auf den betriebswirtschaftlichen Sinnhorizont kaufmännischen Handelns. Je stärker umgekehrt Handlungs- und Gestaltungsprobleme auf der Ebene des betrieblichen Gesamtsystems aus einer unternehmensstrategischen- bzw. –politischen Ebene einbezogen werden, desto stärker setzt dieses wiederum den Bezug auf fachwissenschaftliche Modelle und Erkenntnisse voraus. Betriebswirtschaftslehre versteht sich überwiegend praktisch-normativ, d. h. als Handlungswissenschaft. Vor diesem Hintergrund könnte es weniger um die Frage Berufspraxis oder Wissenschaft als Referenzsystem gehen, als vielmehr um die Frage, mit Hilfe welcher Theorien berufliche Praxis in ihren konkreten Aufgaben und ihrem Sinn- und Problemhorizont am angemessensten zu erfassen ist.
  10. Die Frage nach der Definition von Geschäftsprozessen als Strukturierungselemente von Handlungs- und damit auch Lernfeldern ist im curricularen Kontext nicht empirisch zu lösen (man findet keine GP vor). Sie stellt vielmehr eine Modellierungsentscheidung im Spannungsfeld betriebswirtschaftlicher und curricularer Überlegungen dar.
  11. In intentionaler Hinsicht sollte die pragmatische Qualifizierung für bestimmte Prozesse (prozessbezogene Kompetenzen) ergänzt werden durch verständnisorientiert-kognitive Ziele, die auf Systemverständnis und den Erwerb zentraler Erkenntniskategorien (Schemata in Form von Modellen und begrifflichen Konstrukten) hinauslaufen. In diesem Sinne sollten sowohl Handlungs- als auch Orientierungskompetenz gefördert werden und beide sind ohne die Einbeziehung theoretischer Theorien, Modelle und Konstrukte nicht vorstellbar.
  12. Die besondere Herausforderung eines geschäftsprozessorientierten Curriculums besteht darin, nicht einzelne, voneinander separierte Prozesse zu thematisieren, sondern die Geschäftsprozesse aus dem Zusammenhang eines grundlegenden Systemverständnisses heraus zu entwickeln und sie zugleich immer wieder auf den systemischen Gesamtzusammenhang rückzubeziehen. Hierbei kommt dem Rechnungswesen und dem Controlling eine zentrale integrative Rolle zu.
  13. Die zunehmende Verbreitung von ERP-Software erfordert von künftigen Mitarbeitern ein entfaltetes Verständnis der Zusammenhangstrukturen einer Unternehmung im Hinblick auf die dort realisierten Prozesse und die verbindenden systemischen Strukturen. Die Fähigkeit zum Umgang mit ERP-Software erweist sich weniger im Handling dieser Programme, als in der (kognitiven) Fähigkeit, die jeweils begrenzten Einblicke in diese Systeme in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang stellen zu können. Vor diesem Hintergrund geht es curricular nicht primär um die Bearbeitung einzelner Module, sondern um die Chance zum didaktisch strukturierten Umgang mit symbolisch vermittelter betrieblicher Komplexität im Rahmen von Schule. Hieran werden sich Softwareprodukte und didaktische Konzepte zur Integration von ERP-Software zu messen haben.
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